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Alan Hollinghurst: Die Schönheitslinie

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Nick stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Beim Studium in Oxford hat er Toby Fedden kennen gelernt und sich mit ihm angefreundet. Die Feddens sind immens reich, Tobys Vater ist konservativer Abgeordneter und Staatssekretär in der Regierung von Margaret Thatcher. Als Nick seine Dissertation über die Ästhetik bei Henry James beginnt, bieten ihm die Feddens an, zu ihnen in ihr großes Haus in Notting Hill zu ziehen, und Nick nimmt freudig an. Dass Nick schwul ist, scheint niemanden zu stören. Im Gegenteil, Nick wird zunehmend der Vertraute von Tobys manisch depressiver Schwester Catherine, die er von einem Selbstmordversuch abhält, als die restliche Familie in Urlaub ist. Nick wird im Laufe der Zeit zum gleichberechtigten Familienmitglied, fährt mit den Feddens in Urlaub und nimmt an ihren Gesellschaften Teil – bei einem tanzt er sogar mit Margaret Thatcher – ein Triumph in seiner Entwicklung zum Dandy der neokonservativen 80er Jahre. Nicks schwules Leben ist jedoch kein Thema im Hause Fedden – einzig mit Catherine gibt es Gespräche über Hoffnungen und Enttäuschungen mit Männern. Nicks erste große Liebe zu Leo, der aus armen Einwandererverhältnissen stammt, scheitert denn auch nicht zuletzt daran, dass beide ihr Verhältnis verbergen und keinen Ort für ihre Intimität finden. Das ändert sich für Nick, als er Wani kennen lernt, den Sohn einer mit den Feddens befreundeten, ebenfalls sehr reichen Familie. Für sein Projekt einer schicken Zeitschrift stellt Wani Nick ein, und so haben die beiden eine Fassade, hinter der sie ihre Liebe schützen können. Drei rauschhafte Jahre verlebt Nick in dieser Welt, die alles duldet, solange Macht und Geld nicht in Frage gestellt werden, in der mit Wanis Geld und der gesellschaftlichen Position der Feddens alles möglich scheint. Nicht einmal als Wani sichtlich von AIDS gezeichnet ist, wird der schöne Schein in Frage gestellt und Nick kann sich erfolgreich einreden, dass er – ohne dass es je ausgesprochen werden müsste – als Schwuler entgegen aller restriktiver Politik der Tories eigentlich von seiner konservativen Umgebung akzeptiert wird. Doch diese Lebenslüge wird brutal entlarvt, als Nicks Verhältnis zu Wani öffentlich wird. – Alan Hollinghursts Roman ist nicht nur eine großartige Darstellung der Widersprüche in Großbritannien unter der Thatcher-Regierung und eine fesselnde Schilderung eines schwulen Erwachsenwerdens. »Die Schönheitslinie «, Titel des Buches wie auch Nicks Dissertationsthema im Roman, greift ein Motiv schwuler Lebensführung auf, das allzu schnell zum Muster einer gefährlichen Lebenslüge wird: Die Wahrnehmung der durchgängigen Schönheit in der Welt, einer Linie, die Wirklichkeit, vergangene und gegenwärtige Kultur und das Gemüt dessen, der diese Schönheit wahrnimmt, durchzieht. Diese Schönheitslinie in all ihren Windungen zu erkennen, macht auf der einen Seite glücklich, indem sie das Leben bereichert, doch zugleich verstellt sie auf der anderen Seite den Blick insbesondere auf die Wirklichkeit gesellschaftlicher Machtverhältnisse. »Die Schönheitslinie« ist dadurch zugleich eine Kette von Opportunismus, Lüge und Selbstbetrug. Und schließlich ist Alan Hollinghursts Roman auch ein Henry-James-Roman, denn nicht nur ist Henry James‘ Ästhetik und Lebensauffassung durch Nicks Dissertation im Roman allgegenwärtig. Nicks Leben als Schwuler sich in einer Gesellschaft einzurichten, die den schönen Schein pflegt und solange dieser nicht gefährdet ist, bereitwillig über vieles hinweg sieht, zeigt deutliche Parallelen zum »Meister«, wie Henry James immer wieder genannt wird. Durch die Sprache des Alltags und den harten, auktorialen Erzählstil – ganz im Gegensatz zu Henry James – macht jedoch »Die Schönheitslinie« klar, dass ein modernes Leben durch Schönheit mehr bedroht denn bereichert wird. »Die Schönheitslinie« ist damit auch ein großartiger Gegenentwurf zu Colm Tóibíns »Porträt des Meisters in mittleren Jahren«. Beide Romane waren in der Endrunde für den Booker Prize im vergangenen Jahr, Hollinghursts »Schönheitlinie« wurde schließlich der renommierteste englische Literaturpreis zuerkannt.

Alan Hollinghurst: Die Schönheitslinie
Dt.v. Thomas Stegers. D 2007, 572 S., Pb

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